Texts on the artist
Zeichnungen, Aquarelle und Tonobjekte

Dagmar Schott: Zeichnungen, Aquarelle und Tonobjekte von Katrin von Maltzahn. In: Characters, Plots, Modelle. Munich: von maltzahn fine art 2008

Die Funktionen der üblichen Schreibprogramme sind den meisten geläufig. Eine davon birgt, erlaubt man sich ein wenig explorative Spielerei bei der Arbeit, immer wieder hübsche Überraschungen. Es ist die Funktion „Einfügen/Sonderzeichen“, die nicht auf der Tastatur angebotene sprachspezifische Zeichen und Icons verfügbar macht. Wie z. B. das skandinavische „å“ oder das deutsche „ß“. Auf der Suche nach dem gewünschten Zeichen begegnen dem Nutzer exotische, undeutbare Lettern. Ein Exkurs in den grafischen Niederschlag fremder Sprachen könnte beginnen…

In den teils nahezu wandgroßen Papierarbeiten der Berliner Künstlerin Katrin von Maltzahn, den „Characters“, lassen sich die als grafische Formeln zitierten Sonderzeichen ganz und gar nicht einordnen in etwa ein texthaftes, lesbares Sinngefüge. Sie führen ein überraschendes Eigenleben: Einmal der Mechanik der genormten Drucklettern enthoben und sozusagen handschriftlich mit dem Pinsel aufs Papier gebracht, beginnen sie kristalline Gebilde aufzubauen, pflanzengleich zu wachsen und farbige Kaleidoskop-Formationen zu generieren. Die sich daraus ergebenden Texturen transportieren die Grundstruktur des Ausgangselementes, des Zeichen als Material. Doch nicht nur dessen Vorhandensein prägt Strukturen, auch das Nicht-Vorhandensein, das Auslassen. Die Abwesenheit formt mit gleicher Macht wie die Materialisierung, dort, wo die Zeichen nur mehr in ihrer Negativform, als Leerstelle in der farbig bearbeiteten Fläche ihre Spuren hinterlassen.

Katrin von Maltzahn nähert sich in ihren Arbeiten diesen ihr so fruchtbar gedeihenden Zeichen-Keimen von zwei Seiten. So scheinen die „Plots“, aus dem Formgestus der Buchstaben entwickelte zeichnerische Konglomerate, urbane Grundrisse, DNS-Schleifen oder Schaltpläne erkennen zu lassen. Erst ein gedankliches Abwickeln dieser Formknäuel, ein Rückverfolgen ihrer Entstehung in umgekehrter Richtung, so als drücke man eine imaginäre Rewind-Taste, legt den primären Formcharakter frei. Die „Plots“ fordern dazu auf, quasi archäologische Entdeckungsarbeit zu leisten, bis das Artefakt des alphabetischen Zeichens sich herausschält und als strukturgebend zu erkennen gibt.

Auch bei von Maltzahns Tonplastiken, den „Modellen“, haben wir es zu tun mit Objekten, die erforscht werden wollen, die ihre formale und funktionale Herkunft nicht unmittelbar preisgeben. Sie sind nicht größer und schwerer, als dass man sie mit zwei Händen bequem aufnehmen könnte.

Über diese durch das menschliches Maß implizierte Werk- oder Spielzeughaftigkeit hinaus bleibt ihre formal suggerierte Funktionalität jedoch rätselhaft: Im Widerspruch von erdiger, aus grobem Ton gebrannter Materialität und technoider Ausformung liegt eine Auflösung scheinbar außerhalb unserer Erfahrungs- und Nutzungswelten. Ein wenig erinnern die nach investigativen Zeichnungen von kleinsten Computerbestandteilen geformten „Modelle“ an aus nicht gekannter Zeit und Welt zurückgebliebene Stücke einer verschollenen Zivilisation. Aus Erde entsteht neu, was von dieser so weit entfernt scheint, ja der Negierung von Materie dient.

Kondensations- und Ausgangspunkt der zeichnerischen oder plastischen Bildungen Katrin von Maltzahns ist die aufmerksame künstlerische Hege eines geheimen Gartens der Zeichen. Wie durch ein Mikroskop oder Fernglas blicken wir auf Momentaufnahmen flüchtiger Entwicklungszustände, sie könnten weiterwachsen oder zerbrechen, vergehen.