Texts on the artist
Das Ornament als Versprechen

Nicola Kuhn: Das Ornament als Versprechen. Katrin von Maltzahn "stills". In Antje Freiesleben, Katrin von Maltzahn, Johannes Modersohn: Hybrid. Berlin: argobooks 2008. P. 11-16

Es scheint so leicht und ist doch kompliziert, es wirkt verspielt und ist letztlich Ergebnis einer kühlen Konstruktion. Wer Katrin von Maltzahns „Stills“ begrifflich beizukommen sucht, wird wie beim Blick ins Kaleidoskop, dem ihre Bilder so sehr ähnlich sind, immer wieder einen anderen, gegensätzlichen Eindruck erhaschen. Dabei ist die Versuchsanordnung, der Aufbau ihrer Bilder völlig klar: Vier Reihen mit jeweils fünf Blättern hängen untereinander, die Grundform des Kreises bildet das kompositorische Gerüst.

Doch in jedem Blatt hat die Künstlerin durch unterschiedliche farbliche Gestaltung eine andere Variante an die Oberfläche geholt. Die sich überschneidenden Kreise bilden immer wieder neue Konstellationen aus - mal hauchfein aufgefächert in zarte Ellipsoide, dann wieder die Binnenzonen betonend in kraftvollem Rot, strahlendem Blau und leuchtendem Gelb. Der Betrachter beginnt die Unterschiede zu studieren, gewinnt zunehmend einen Blick für die Details. Dann wiederum fühlt er sich vom komplexen Formengespinst aufgesogen, das sich vor seinen Augen mal nach vorne bewegt, mal zurückweicht, das zu atmen und pulsieren scheint, sich dadurch als dynamische Komposition erweist. Der Titel „Stills“ verweist darauf, dass  sich das Gesamtgebilde ebenso wie jedes einzelne Blatt auch als Filmausschnitt vorstellen lässt, als angehaltenen Moment einer endlos ablaufenden Folge möglicher Bilder.

Gerade darin besteht auch die Philosophie von Katrin von Maltzahns Werk: dass sie mit scheinbar simplen Grundmodulen operiert, deren Entschlüsselung sich schon mit dem zweiten, wenn nicht ersten Blick vollzieht. In ihrer Simplizität aber öffnen sie den Horizont,  eine Fülle unterschiedlichster Bedeutungsebenen stecken darin. Denn ebenso wie einem orientalischen Teppich oder abstrakten mittelalterlichen Kirchenfenster, mit dem die insgesamt 260 mal 435 Zentimeter messenden Tableaux große Ähnlichkeit besitzen, eine Vielzahl von mystischen Anspielungen, Zahlencodes, Farbsymboliken innewohnt, bergen auch Katrin von Maltzahns „Stills“ diverse Bezugsgrößen.

Die Erste liegt auf der Hand, sie ist bedingt durch die Zusammenarbeit mit dem Architektenpaar Modersohn & Freiesleben, das die Künstlerin eingeladen hat, an seiner Ausstellung in der Architektur-Galerie teilzunehmen. Die Kreisform ist ein Grundelement in der Architektur. Der Künstlerin offenbarte sich diese schlichte Tatsache frappierend klar bei einem gemeinsamen Rom-Aufenthalt im November 2007 mit Antje Freiesleben. Eine Vielzahl der von beiden besuchten Kirchenbauten ließen sich in ihren Grundrissen auf diese geometrische Form zurückführen. Einmal erkannt, entdeckte Katrin von Maltzahn den Zirkelschlag überall wieder: in Bodenmosaiken, Wanddekors, Kuppelgestaltungen. In der Kreisform verbirgt sich das kosmische Element, das Symbol für die Welt, zugleich die Unendlichkeit des Firmaments und die Vollkommenheit alles Göttlichen. Der Kreis ist das universale Bild allen Seins; in der Architektur der Renaissance und des Barock bildet er das konstitutive Moment.

Auch in Katrin von Maltzahns „Stills“ schwingt diese metaphysische Bedeutung mit, doch interessiert sie sich wie der Architekt mehr für das Konstruktive dieses Grundelements. Wer die einzelnen Blätter genauer studiert, wird schnell erkennen, dass sie „handgemacht“ sind. Die Makellosigkeit einer am Computer entworfenen Zeichnung kommt für die Künstlerin nicht in Frage. Die Folge: Die Spiegelbildlichkeit der aufgeklappten Kreise funktioniert nicht immer perfekt, die farbliche Gestaltung der ausgemalten Zonen zeigt da und dort eine abweichende Intensität, ja sogar Spritzer sind zu entdecken, die der vollendeten Geometrie eine sympathische  Fehlbarkeit verleihen. Für Katrin von Maltzahn ist gerade dieses menschliche Maß relevant; es kehrt auch in ihren Buchstaben-Zeichnungen, in der skulpturalen Umsetzung von Computer-Bauteilen wieder. Insofern steckt in ihren Werken immer auch eine humorvolle, ja subversive Komponente.

Dieser fast anarchische Moment kommt auch in der Benutzung der Primärfarben Rot, Gelb, Blau zum Ausdruck, die seit Barnett Newmans Bild „Who’s afraid of Red, Yellow and Blue?“ eine geradezu heroische Bedeutung besitzen. Zumal in Berlin, wo die älteste Variante dieses wohl bekanntesten Werks der amerikanischen Colorfield-Malerei (1970) in der Neuen Nationalgalerie im Erwerbungsjahr 1982 ein Kunstattentat evozierte. Katrin von Maltzahn knüpft mit ihren „Stills“ dort wieder an, woher auch Barnett Newman diesen Farb-Dreiklang in Auseinandersetzung mit Piet Mondrian nahm. Beide Künstler bauen auf der Signalkraft der Primärfarben auf: Mondrian balancierte sie in einem Liniengerüst miteinander aus, Newman interagierte durch die schiere Dimension seiner Bilder direkt mit dem umgebenden Raum. Ausgangspunkt für beide ist die Farblehre, die schon bei den naturwissenschaftlichen Forschungen Leonardo da Vincis ihren Ursprung nahm. Berühmtheit aber erlangte Goethes Farbenkreis, bei dem den einzelnen Farben Eigenschaften des menschlichen Geistes- und Seelenlebens zugeordnet sind. Rot/Gelbrot steht für die Vernunft, Gelb und Grün für den Verstand, Grün und Blau für die Sinnlichkeit, Rot für die Fantasie. Zwar sind diese Bedeutungen längst überholt, doch markieren sie den Beginn der Farbpsychologie, die noch heute über den Umweg des Bauhauses in Werbung, Mode und nicht zuletzt der Architektur angewandt wird.

Vielleicht ist mehr noch  Katrin von Maltzahns Wandbild eine Hommage an den großen Romantiker Philipp Otto Runge, der in seinem Todesjahr 1810, als auch Goethes Farblehre erschien, eine Farbkugel  publizierte, die auf den drei Grundfarben Blau, Rot, Gelb aufgebaut ist. Wie bei Goethe sind  auch bei ihm die einzelnen Farben in zarten Aquarelltönen dargestellt. Die nüchterne Wissenschaft findet ihren Ausdruck in der fließenden Farbe, die letztlich nicht zu kontrollieren ist. Die Klarheit des Kreises wird durch die Eigendynamik der von Hand zu Papier gebrachten Bleistiftlinie konterkariert.  Das zunächst praktischen Anforderungen genügende Bauwerk findet in der Kunst sein Gegenstück. Glücklich, wenn sie die Freiheit gewinnt, wie in den Kreisen von Katrin von Maltzahns „Stills“.